Sehr geehrte Frau Dittmann
Meine Damen und Herrn, werte Kolleginen und Kollegen,
Es ist mir eine grosse Ehre bei dieser Werkbund Tagung zu sprechen. Grossen Dank.
Pingusson’s Moderne
Wir gehörten der Moderne an, zum Wenigsten hatten wir in zweiter oder dritter Generation das Glück Lehrer zu haben, die aus der Moderne Bewegung her kamen. Wir waren modern, wurden dann eine zeitlang postmodern, wir trauern um Josef Paul Kleihus, Hans Hollein, Aldo Rossi, und sehnen uns nun wieder modern zu werden. Wir pilgern zu Hanns Schöneckers Moderne- Galerie,- wo wir uns glücklicherweise heute befinden-, wir machen den Umweg über Wilhelm Lehmbrucks Museum, für dessen Werk sein Sohn Joseph mehr als ein Gehäuse, vielmehr einen Schrein gezeichnet hat. Und wir versuchen auch hier mit Georges-Henri Pingusson den Anschluss an die Moderne zu finden. Im Saarbrücker Architekturführer erfahren wir, dass Schöneckers Galerie der 2. Generation des Internationalen Styls angehört, jedoch als ein Bauwerk gilt dass nur indirekt und über die Kunst die Qualifizierung “Moderne” bekommen hat. Für Pingusson’s Gebäude der Diplomatischen Vertretung Frankreichs, die “Ambassade”, gibt der Architekturführer keinen Hinweis auf Moderne. Das im letzten Jahr erschienene Werk über die “Ambassade” in Saarbrücken, -Werk mit dem Pingusson’s Bau in die Architekturgeschichte eingeht- wird die Klassifizierung der Architektur ein bisschen vorsichtig behandelt –so habe ich es empfunden- und der Umgang mit dem Begriff “Moderne” verbleibt ein wenig undeutlich was die Architektur betrifft. Für den Städtebau erkennt Herr Kolling –ich zitiere- die Schwierigkeiten auf dem Weg zur Moderne. Ich möchte hier keine Lehre erteilen, im besten Fall einen Anstoss geben, den Begriff moderne Architektur hervor zu heben, was wir ja nicht trennen können von der Modernität überhaupt, nicht in der Kunst und nicht in der Philosophie. Ohne jegliches Anmassen meinerseits bleibt der Versuch, auf die Einreihung Pingusson’s zurück zu kommen, eine Rechtfertigung meines Vortrages mit dem Titel Pingusson’s Moderne.
Pingusson’s Freundschaft mit dem unfreundlichen Le Corbusier sollte nichts zu seiner Einreihung in die Moderne beitragen. Le Corbusier, der Architekt mit den Taschenspielertricks –so Egon Eiermann- war um ca. 8 Jahre der Ältere und hatte einen grossen Vorsprung und wahrscheinlich auch Einfluss auf Pingusson, hatte schon viel gebaut und war dabei, die ersten theoretischen Richtlinien zu seiner Architektur zu verfassen. Pingusson hat das Studium der Architektur erst 1920 im Alter von 26 Jahren begonnen. Als er 1925 seine Ausbildung an der Ecole des Beaux-Arts abgeschlossen hatte, war die Moderne-Bewegung schon mit der Pariser Exposition des Arts Décoratifs -1925- voll im Gange, sozusagen fast an ihrer Apotheose angelangt .
In Paris war die Moderne 1925 modisch, elegant, ästhetisch, vor allem undogmatisch im Vergleich zu den Anfängen bei Loos und am Bauhaus. Vom Klassizismus hatte Loos die Säulenordnung bewahrt, obwohl er lange vorm Bauhaus die glatte Wand ankündigte.
Im Vergleich zu Le Corbusier, der Autodidakt war, und im Vergleich zu den strengen Bauhaus-Meistern, hatte Pingusson den Nachteil der klassizistischen, auf Ewigkeit angelegten Beaux-Arts-Ausbildung. Er entdeckt die Konstruktivisten und die Modernen sozusagen als Diplomand 1925 am Pavillon de l’Esprit Nouveau von Le Corbusier, an den Pavillons von Robert Mallet-Stevens, wie auch an dem der Sowjets von Konstantin Melnikov. Dass Le Corbusier Autodidakt war hat ihm im Vergleich zu Pingusson, aber auch zu allen anderen Beaux-Arts-geschulten Architekten, eine grosse Freiheit ermöglicht, und wir erkennen darin die treibende Kraft zu seiner Kreativität und zu seinem Erfolg.
Pingusson war verschult durch die, wenn auch nicht reaktionäre, zumindest konservativ-traditionnelle Beaux-Arts-Ausbildung. Durch seine bourgeoise Herkunft war er weit weg von den doktrinären und revolutionären Bauhaus-Satzungen, hat aber die Moderne-Bewegung schnell und sehr gut verstanden. Wenn auch Pingusson in dieser Zeit nichts zur Moderne, auch nichts zur Union des Artistes Modernes bei der Gründung 1929 beigetragen hat, ist es ihm gelungen, in ganz kurzem Zeitraum mit dem Projekt Hôtel Latitude 43 (1930 bis 32) ans Firmament der Moderne hochzusteigen. Seine späte Präsidentschaft der Union des Artistes Modernes die er nach dem Krieg übernahm, mehr als ein konstitutiver Beitrag zur Moderne (–Manifeste 49 -) , war vielmehr seine eigene Anerkennung durch diese Bewegung.
Ähnlich wie Richard Meier in den 70er Jahren in Amerika die Bauhaus-Moderne, fast in naiver Treue, neu erfand – in den Vereinigten Staaten, wo es keine Moderne-Periode gab- um dann die nagelneue Moderne bei uns in Europa aufblühen zu lassen, ebenso hat Pingusson die Moderne Architektur -die er vorm Krieg nicht ganz auserlebt hatte-, in die 50er Jahre rübergebracht, hat somit sehr zur Renaissance der Moderne beigetragen.
Im Kreise der Union des Artistes Modernes begegnete Pingusson unter Anderen, Pierre Chareau, Eillen Grey, Jean Prouvé, Françis Jourdain, Robert Mallet-Stevens, aber auch Gabriel Guevrekian. Diese Avantgardisten haben durch die Vielseitigkeit ihrer Beiträge und Aussagen Pingusson’s Horizont erweitert und gestärkt. Während einer kurzen Zeitverschiebung zu Deutschland, war das Ende der Modernität ebenso in Frankreich abzusehen. Die Weltausstellung 1937 in Paris, mehr als ein Anzeichen, war schon die Vollendung der seit 1930 angekündigten Wende in den Neo-Klassizismus. Die Architektur dieser Zeit war im Einklang von Moskau über Berlin bis hin nach Paris, sogar hat Klemens Holzmeister mit dem Atatürk-Mausoleum sich daran angeschlossen. Der von Pingusson gezeichnete Pavillon der UAM für diese Weltausstellung, im Anblick der Speer-und der Soviet-Architektur, und unter der Obhut des Palais de Chaillot, wurde paradoxerweise einer Vergangenheit zugeschrieben.
Das Bauhaus war eine Schule, und eine Schule pflegt ihren internen Widerspruch, kontrolliert die Entwicklung und die Projekte. Das Kollegium dieser Schule achtete auf die Doktrin der Moderne, sozusagen auf die Instandhaltung des Bauhaus-Manifestes.
Ganz anders war es in Frankreich, wo der Anfang und die Weiterentwicklung der Moderne viel individueller voran ging. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Bauhausschliessung das Ende der Moderne ganz plötlich herbeirief, hat sich in Frankreich eine unpräzise Moderne in den 30er Jahren noch lange hingezogen und so sind vielseitige und gute Architekturen entstanden, insbesondere von André Lurçat, von Le Corbusier zusammen mit Pierre Jeanneret, aber auch von Beaudouin mit Prouvé in Clichy, und nicht zuletzt, wie schon zitiert, das Hôtel Latitude 43 von Pingusson.
Mit diesen weitlaüfigen Betrachtungen möchte ich zum Ausdruck bringen, dass die Architekten des 20. Jhdts, ein jeder seine Moderne gezeichnet hat, und so auch G-H Pingusson. Als die Postmodernität, die Tendenza, in den 80er Jahren schon recht gut etabliert war, hat Paul Chemetov einen Beitrag zur Pariser Architektur-Biennale geliefert unter dem Titel La Modernité, un projet inachevé, die Modernität, ein unvollendeter Prozess. Heute, vielleicht mehr denn je, werden wir weiter an dieser Modernität arbeiten und unsere Beiträge leisten.
Und wenn wir annehmen können, dass Architektur die gebaute Wahrheit einer Situation ist, so war für Pingusson hier in Saarbrücken die Situation ausserordentlich schwierig. War das Projekt Hôtel Latitude 43 1930 in St-Tropez eine fast reine Aussage der Moderne, so konnte Pingusson 1952 in Saarbrücken, aus bestimmten Gründen, diese Reinheit nicht mehr halten. Die Architekturgeschichte wie die der Literaturgeschichte liegen immer in Vergleichen, daher diese Betrachtungen. Ausserdem herrschen zwischen den Entwurfsabsichten und dem Endergebnis die kontingenten Welten des Machbaren, der Möglichkeiten, und unumgänglich begegnen wir da auch den Menschen und Mitarbeitern, die im Bauprozess mit-und-einwirken. Wir sollten hier vor allem an Bernhard Schultheis und Hans-Bert Baur denken, sie in diesen komplizierten Werdegang mit einbeziehen. Ein Objekt kann auch nicht isoliert betrachtet werden. In Saarbrücken ist der Auftrag an Pingusson vor allem politischer Natur. Auch liegt ein Krieg zwischen dem Hôtel Latitude 43 und der “Ambassade”. Es ist ein anderes Land hier an der Saar, dadurch ein merkwürdiges Land, da es unter militärischer Besatzung steht. Es ist Nachkriegszeit mit Not und Sparmasnahmen. Der Bau der Ambassade erscheint als Machtdispositiv mitten in strassenlangen Ruinen und hinzu gibt es noch keine Antwort auf die Wohnungsnot. Die Unité d’Habitation de Grandeur conforme von Le Corbusier in Marseille wird 1952 fertiggestellt. Sie ist Beispiel geworden einer Modernität, die sich Le Corbusier in eigener Küche zusammengestellt hat. Pingusson muss sparen, aber soll doch repräsentativ bleiben. Es herrschen grosse Spannungen zwischen den Architekten untereinander, die um Aufträge kämpfen. Indirekt schildert Simon Texier diesen Kampf in seinem Beitrag zur Ambassade: Es ist auf jeden Fall ungewöhnlich, dass zu einem Zeitpunkt, da die Mächtigen in Frankreich einen “Klassiker” wie André Arbus bevorzugen, hier in Saarbrücken ein ”Moderner” den offiziellen Auftrag erhält.
Saarbrücken wie auch die zerstörte Stadt St. Dié-des-Vosges sind zu begehrten Städtebauobjekten geworden. Pingusson hat wohl Saarbrücken vorgezogen, um Le Corbusier in St. Dié aus dem Weg zu gehen, und hat den Kontakt zu Grandval über Prouvé bekommen. Die Antwort auf Simon Texiers Frage liegt teils darin, dass Prouvé sehr einflussreich war, mehr für seine Freunde als für sich selbst.
Vorrangig soll Pingusson ein Städtebaukonzept für Saarbrücken und eine Gesamtplanung für das Protectorat de la Sarre vorlegen. Für die Stadt Saarbrücken entwickelt er ein Konzept das viel mehr aus Le Corbusiers Städtebaudelirium der 20er Jahren hergeholt ist, als es eine realistische Antwort auf die Anforderungen des Wiederaufbaus, wie es hätte sein sollen. ( Cf…Le Corbusiers Stadt für 3 Millionen Einwohner 1922, oder noch 1925 der abschreckende Plan Voisin für Paris, der Plan für Antwerpen, für Algier…)
Der von Pingusson und Guevrekian vorgelegte Städtebauplan –den Herr Kolling sehr genau und gut dokumentiert und untersucht hat- dieser Plan ensteht nicht nur über einem Trümmerfeld, sondern beruft sich auf die in der Barockzeit entsprechende Niedriegbebauung einer Stadt, eine Brückenkopfstadt, die hinzu mit der Hügel-Landschaft und mit dem Fluss zurecht kommen soll, eine Merian-Stadt, in der die Kirchtürme zu räumlichen Referenzen hervorragen. Die von Pingusson vorgesehenen Hochhausreihungen sollten die Landschaft ordnen, sollten den neu erweiterten Stadtraum bestimmen, indem sie die Saar, -der raümlich unsichtbare Fluss in seinem Bett-, prospektiv sichtbar werden lassen.
Solche Pläne und eine so umfassend neue Stadt könnten nur unter absolutistischen Umständen verwirklicht werden, und so verbleibt hier wie sonstwo auch, der Restbestand einer Utopie. Die Baugeschichte und die Baukultur einer Stadt begnügen sich hinterher mit Teilen und Stücken, die im Laufe der Zeit den Bestand bilden –die Stadt als Sammlug von Architektur, Erreignissen und Erlebnissen- ein Bestand für den wir verantwortlich geworden sind.
Aus dem Städtebauplan für Saarbrücken entwickelte sich später die Baumassnahme für die “Ambassade”, deren Bau, reihend und raumbestimmend, -eine Charakteristik aus dem Gesamtplan geblieben ist- ein Bau, der mit dem Fluss in Harmonie steht, und heute, fast auf prophetische Weise, das Strassenchaos unserer Zeit noch beherrscht.
Latitude 43 war die Einfühlung in das Relief und in die Landschaft der Côte d’Azur, die Ambassade hingegen wurde ein bestimmendes Baustück für die Stadt Saarbrücken bis hin in das 21. Jahrhundert.
Die Bedürfnisse, so der neue Bedarf an Bauten, die Wohnungsnot, die direkt bei Kriegsende anfielen, haben zu neuen Baumethoden geführt, zu Systematisierungen, zu den ersten Vorfertigungen, und diese Bauweisen wurden sofort an Pingussons Ambassade angewendet. Durch die Regelmässigkeit und die Grösse der Fassaden wurde eine Rationalisierung am Bau vorgenommen, die sich dann auf die theoretische Formgebung der Moderne auswirkte; der Formencharakter der Moderne wurde abgeschwächt, es ging an der wahrscheinlich erwünschten Reinheit der Form etwas verloren.
Aus der Moderne übernimmt Pingusson, in seinen Entwurf die Funktionalität, die Trennung des Bürotraktes von dem Repräsentationsteil, ebenso die optimale Verteilung im Bürotrakt. Suchen wir die Moderne, so liegt sie ganz unerwartet im Bürotrakt, wo sie auf solch radikale Weise in der Erschliessung und Verteilung ausgedrückt wurde wie nie zuvor.
Die Aussage ist umso kontrastierter dass dieses Hochhaus zum Träger der Gesamtkomposition wird, wie es Simon Texier feststellt; so dass die in einem Englischen Garten sich entfaltende niedrige und klassizistische Palastarchitektur vom Bürohochhaus mit eingenommen wird. In dieser Komposition rechtfertigt das Hochhaus seine Grösse in der Ansicht, indem die Grösse des Parks den Ausgleich im Grundriss garantiert. Einer der grundlegenden Gedanken Pingusson’s, der hier zu erkennen ist und an der Ecole des Beaux-Arts gelehrt wird, ist ein fast universelles Kompositionsprinzip, der sogennante parti architectural du paquet et de la barre, sozusagen die komplementäre, ausgewogene Aneinandergliederung eines gebündelten Teils, le paquet, (das Gebündelte, das Gebundene, das Konzentrierte) mit einem in die Länge gestreckten Teil, la barre.
Pingusson hat in grosser Einfühlung den Repräsentationsbau an den Park angeschlossen, so dass der Park mit dem Repräsentationsbau eine gut proportionierte Einheit bilden.
Über zwei Jahrhundete wurde den Schülern der Beaux-Arts unter anderem die Palastarchitektur auferlegt. Kompositionen mit Volumen, Mitteltrakt, Seitenflügel, Risalit, Fassadenregelungen und klassizistische Proportionen, alles was in Versailles vorgegeben wurde, nur lange nicht so dramatisierend wie bei Bernini, doch weit weg von der Ruhe, die wir an Schinkel’s Sommerhaus im Charlottenhof erleben. Gropius in Dessau liegt in perfekter Kontinuität mit Schinkel im Charlottenhof; dort erfahren wir eine Formenexaktheit, eine Volumengenauigkeit, die sich hingegen im Beaux-Arts-Klassizismus in der Modénature und den Fassadenvolumetrien auflösen.
In dem sehr kostbaren Buch zur Ambassade, das hier im vorigen Jahr vorgestellt wurde, dokumentieren einige Fotos aus der Rohbauzeit. Man glaubt sich in einem Beton-Säulengang von Auguste Perret zu befinden, oder noch im Refektorium von Le Corbusier in La Tourette. Allerdings konnte der Empfangsteil nicht so karg in einer Betonfaktur bleiben; der Repräsentationscharakter einer Ambassade durfte nicht fehlen. Weit entfernt von den schweren, monumentalen und tragischen Travertin-Ablagerungen Speers an der Reichskanzlei, verlegt Pingusson den Travertin in fast plakagenartiger Dünne, nach Pariser Art, wie im XVI. Bezirk. Das Büro des Botschafters wird zu einem Schmuckkästchen im Vergleich zur Reichskanzlei. Heute könnten wir diese intime, modische Dekoration als Lagerfeld- oder Haute-Couture-Architektur bezeichnen, was für Pingusson nicht beschämend ist, ganz im Gegenteil, wenn man bedenkt dass die Pariser Mode, und Coco Chanel unter Anderen, durch diese Dekors und durch den Beaux-Arts-Klassizismus geprägt wurden. Pingusson ist innerhalb des Dogmas der Moderne, -das in Frankreich nie so recht ausgesprochen wurde-hier an der Ambassade zum Ausdruck seiner Welt-und-Kulturanschauung gekommen, auch wenn er die Aufgabe an Jacques Dumont delegieren musste. Die weissen Türrahmen und Gesimse –wie Babars Gamaschen- ent-dramatisieren, lassen den Empfangscharakter menschlich werden, ermöglichen den humanistischen Gedanken, der darin entstehen soll. Die Appliken, die Türgriffe, alle Details erzählen nichts von Macht und Herrschaft, sondern von Ihm selbst, von der Person, vom Wesen Pingussons, von seiner Welt, vom Dandy der 30er Jahren neben seinem Flugzeug stehend.
Pingusson hat uns hier an der Ambassade den Nachweis gebracht, dass die moderne Architektur der Vorkriegs-und die der Nachkriegszeit, gleich wie in der klassizistischen Architektur, Volumen und Baukörper zusammenfügt, Proportionsrisse anlegt, die Anordnungen der Teile in einem Gesamtbild wertet und kontrolliert, und dass eben gleich traditionnell mit Mauerwerk und Verputz gebaut wird.
Es verbleibt der Kampf mit den Dachformen: hier an der Ambassade ein kleines Gesims statt scharfer Oberkanten.
Wir erfahren an der Ambassade, dass die Architektur der moderne nicht im Widerspruch steht zur Klassik. Beide unterliegen den Regeln der Vernunft, des Gleichgewichts, der Ausgewogenheit, und beide Architekturen liegen im Kampf gegen die Irrationalität und die Romantik, wie sie aus der Stellungnahme Van De Veldes im Widerspruch zu Muthesius 1914 in Werkbund-Thesen und Gegenthesen hervorkommen. Darin, in der Irrationalität und in der Romantik, liegt auch der Geist dessen, was Gropius zurückgewiesen hat bei der Bauhaus Gründung, so die Glasarchitektur, die Alpinearchitektur, und zusammenfassend zu verstehen im Zitat Paul Scheerbart’s: Das Senkrechte in den Wänden ist nicht mehr eine Notwendigkeit.
Aus Simon Texier’s hervoragendem Beitrag zur Ambassade wird diese Problematik zu dual betrachtet indem er schreibt..Es ist auf jeden Fall ungewöhnlich, dass zu einem Zeitpunkt, da die Mächtigen in Frankreich einen “Klassiker” wie André Arbus bevorzugen, hier in Saarbrücken ein ”Moderner” den offiziellen Auftrag erhält.
Diese Gegenüberstellung ist sehr krass und kontrastierter als es die Wirklichkeit zulässt. Theorien sind immer glaubwürdiger, je mehr man sie ins Schwarz-Weisse rückt. Am Ende wären wir dann parteiergreifend, definitiv, wobei wir doch die Prozesse verstehen sollten, wie die Entwicklungsgänge in den Fortschritt oder in die Regression. Die Architekten sind in den Zeitprozess, in ihre Epoche mit eingebunden.
Julius Posener meint dazu: in Architektur der Zukunft…Seite 20
Selbst Gropius baute sich ein “menschlicheres” Haus in Lincoln, Massachusetts. Es war erheblich weniger doktrinär als ein Meisterhaus es gewesen war, es war vergleichsweise gemütlich; um diese Zeit (1938) sagte er ( Gropius ), man habe den Funktionalismus zu wörtlich genommen.
Und um es noch mit Jürgen Habermas zu formulieren:
Während die einfachen Moden unmodern warden, sobald sie der Vergangenheit angehören, bewahrt sich die Modernität hingegen geheime Verbindungen mit dem Klassizismus. -1980-
Es gibt sehr elegante Stellen innerhalb der Postmodernität, an denen wir ablesen können, dass die postmoderne Architektur zum Teil ein gelungenes, zum Teil auch ein neurotisches Kind war, enstanden aus der “Abdeckung” der Modernität durch den Klassizismus. Ganz ähnlich entstand Pingusson im turbulenten Ménage des langweilig gewordenen Klassizismus mit der aufregende Moderne. Ein wesentliches Stück Inhalt seiner Biographie, oder besser gesagt…Georges-Henri Pingusson hat an der Ambassade de France, hier in Saarbrücken, am Saarufer, sehr leidenschaftlich die Ode an seine Muse, die Architektur, geschrieben.
Post Scriptum zu Pingusson
Es sei mir noch gestattet einen ganz kleinen beruflich-praktischen Anhang zu Pingusson zu formulieren.
Wo sind wir dran mit der Modernität heute? Die Postmodernität haben wir eindeutig hinter uns und im Un-Sinne einer Irrationnalität ist die Architektur doch in eine schwerwiegende und träge Barock-Phase geraten, in der wir den Restbestand, den Reichtum aus guten Zeiten vertun. Kräfte werden inzwischen ganz unwillkürlich abgeleitet. Hochhäuser geraten total aus dem Senkel, rationale Volumen werden schamhaft einfiligraniert.
Mies Van Der Rohe meint: Über die Form in der Architektur 1927
Nur Lebensintensität hat Formintensität.
Das Ungeformte ist nicht schlechter als das Übergeformte.
Das eine ist nichts, und das andere ist Schein.
Wirkliche Form setzt wirkliches Leben voraus.
Nun wird diese Irrationalität seit Jahren schon durch die radikalisierende Welle der Formenvereinfacher angegriffen. Darin finden wir Spuren einer neuen Modernität –ein Glück- aber auch Ansätze einer Radikalisierung in der Formgebung. So war es 1933, in Deutschland wie auch in Frankreich:
der sogenante réalisme socialiste der 30er Jahren in Frankreich sowie die National-Sozialistische Architektur in Deutschland bildeten im Grunde eine nicht erkannte Postmodernität, mit allen Zügen der Funktionalität und der Rationalität.
Aus dieser Sicht, ob in Paris am Palais de Chaillot oder noch in Saarbrücken am Staatstheater werden die Säulen entweiht, zu Stützen reduziert, sind nicht mehr orientiert, haben kein Oben und kein Unten, werden zu glatten runden Formen, zwischen Gesims und Postament eingebaut, bilden und bestimmen, banalisieren somit sehr deutlich, ohne Ornament und Symbolik, den Zwischenraum in dem die Menschen leben sollen. Ganz im Gegensatz haben die Architekten der letzten Postmodernität versucht, den allzu neutralen Stützen der späten und abgegriffenen Modernität ihre Symbolik zurückzuerstatten.
Es ist sehr trügerich mit der Formenvereinfachung. Hermann Muthesius meint dazu…Die Form wieder zu ihrem Recht zu verhelfen, muss die fundamentale Aufgabe unserer Zeit, muss der Inhalt namentlich jeder künstlerischen Reformarbeit sein…-1911-
Peter Zumtor wurde auch schon auf die bei Ihm erscheinende Radikalisierung der Formen angesprochen; auch ist es merkwürdig wie er diese Radikalisierung auf eine fast unmenschliche Weise durchsetzt.
An sich ist die Vereinfachung ja nichts Schlimmes; das Übele daran ist die Radikalisierung der Kultur, die sich daraus entwickelt.
Ich musste diesen Gedanken noch hinzufügen, teils wegen der Praxis mit der wir konfrontiert sind, teils aber, um nochmals auf Pingusson zurück zu kommen, um zusammenfassend darzustellen wie persönlich-human, wie an-ständig Pingusson’s Moderne ist. Und wie Pingusson selbst dazu sagt…Was ich mit dem Bau der Botschaft, diesem Stück Frankreich an der Saar, wollte, war das Gefühl dieser ruhigen Ordnung, dieser Stärke, die unsere Anwesenheit ohne Zwang brachte…
Und ich darf noch hinzusagen wie schön und kostbar, entlang des Weges von der Modernen Galerie aus, über die Musikhochschule, das Staatstheater, die Kongresshalle, die Ludwigskirche, bis hin zu Pingusson’s Ambassade, die Architekturgeschichte und die Geschichte der Moderne sich hier in Saarbrücken abwickeln. Zu unserer grossen Freude.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
JMH in Saarbrucken am 12.September 2015